Arbeitsschutz beim Energiesparen beachten
Die Bundesregierung hat eine Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung auf den Weg gebracht. Arbeitgeber bekommen die Möglichkeit, die Lufttemperatur in Arbeitsstätten abzusenken. Wir erklären die wichtigsten Regelungen für Betriebe – und was aus Sicht des Arbeitsschutzes zu beachten ist.
n Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich die Lage auf den Energiemärkten drastisch verschärft. Das hat die Bundesregierung veranlasst, eine Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (EnSikuV) auf den Weg zu bringen. Die Verordnung wurde am 1. September in Kraft gesetzt und gilt bis zum 28. Februar 2023.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die wichtigsten Regelungen für Betriebe und zeigen auf, was bei der Umsetzung der Verordnung aus Sicht des Arbeitsschutzes zu berücksichtigen ist.
Was regelt die Verordnung?
Die Verordnung ist Teil eines breit aufgestellten Energiesicherungspakets. Neben Anforderungen für private Haushalte umfasst sie vor allem Vorsorgemaßnahmen zur Energieeinsparung in öffentlichen Einrichtungen und bei öffentlichen Arbeitgebern.
Auch für Arbeitsstätten im Verantwortungsbereich privater Arbeitgeber gibt es neue Regelungen. Von besonderer Bedeutung ist hier eine vorrübergehende Änderung der Anforderungen an die Mindestlufttemperatur in Arbeitsstätten.
Welche Mindesttemperaturwerte gelten für Arbeitsstätten?
Die Verordnung legt für Arbeitsräume in privaten Arbeitsstätten vorrübergehend neue Mindesttemperaturen fest. Wichtig dabei: Privaten Arbeitgebern wird keine Verringerung der Raumtemperatur zwingend vorgeschrieben. Allerdings wird ihnen für die Geltungsdauer der neuen Verordnung grundsätzlich gestattet, die bisherigen Mindesttemperaturen, die in der Technischen Regel zur Raumtemperatur (ASR A3.5) festgelegt sind, zu unterschreiten.
Im Einzelnen gelten mit der neuen Verordnung folgende Mindesttemperaturen in Arbeitsstätten:
Überwiegende Körperhaltung | Arbeitsschwere leicht | Arbeitsschwere mittel | Arbeitsschwere schwer |
Sitzen | +19 Grad Celsius | +18 Grad Celsius | – |
Stehen, Gehen | +18 Grad Celsius | +16 Grad Celsius | +12 Grad Celsius |
Gelten die neuen Mindesttemperaturen für die gesamte Arbeitsstätte?
Nein, das tun sie nicht. Die Möglichkeit einer Temperaturabsenkung ist rechtlich keineswegs in der gesamten Arbeitsstätte gegeben. Tatsächlich beziehen sich die neuen Mindesttemperaturen der Verordnung lediglich auf Arbeitsräume. Für andere Räume, etwa Wasch- und Duschräume, Toiletten oder Pausenräumen gelten hingegen weiterhin die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung und ihrer untersetzenden Technischen Regeln.
Ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Heizung in seinen Arbeitsstätten runterzudrehen?
Nein. Die durch die Verordnung gesetzten Mindestanforderungen sind keineswegs als obligatorischer Zielwert zu verstehen. Vielmehr definieren sie Untergrenzen, die nicht ohne Weiteres unterschritten werden dürfen. Wie warm oder kalt es im Betrieb konkret zu sein hat, gibt die Verordnung nicht vor. Die geltenden Vorschriften lassen dem Arbeitgeber also erhebliche Handlungsspielräume.
Dem Betriebsrat kommt daher auch bei der Umsetzung der Verordnung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zu. In welchen Arbeitsräumen der Arbeitsstätte welche konkreten Temperaturen herrschen, muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vereinbaren.
Was kann der Betriebsrat tun, um Energiesparmaßnahmen gesundheitsverträglich zu gestalten?
Die in der Verordnung festgehaltenen Maßnahmen sollen Anreize schaffen, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Klar ist aber auch, dass die Umsetzung dieses Gebotes nicht dazu führen darf, dass in der Folge andere wichtige Schutzziele wie etwa die Gesundheit der Beschäftigten vernachlässigt werden.
Der Arbeitgeber ist daher nach wie vor dazu verpflichtet, die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen für die Gesundheit der Beschäftigten zu ermitteln und gemäß den gesetzlichen Präventionsanforderungen zu beseitigen oder zumindest zu minimieren. Hier ist der Betriebsrat gefragt. Seine Informations- und Mittbestimmungsrechte eröffnen ihm verschiedene Einflussmöglichkeiten.
Welche gesundheitlichen Auswirkungen haben (zu) niedrige Lufttemperaturen?
Um leistungs- und überlebensfähig zu sein, benötigt der menschliche Körper eine Innentemperatur von 36 bis 37 Grad Celsius. Sinkt die Körpertemperatur unter dieses Niveau, können Organe und Nervensystem in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Dies kann etwa passieren, wenn die Temperatur der umgebenden Luft vergleichsweise niedrig ist. In diesem Fall wird ohne eine besondere Wärmeisolation (etwa geeignete Kleidung) Körperwärme an die Umgebungsluft abgegeben. Kann der Körper sich nicht mehr an das Raumklima anpassen, gerät der Wärmehaushalt aus dem Gleichgewicht. Es kommt zu einer erhöhten Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems. Die Folgen können kurzfristig Symptome wie Frösteln, Steifheit der Gelenke und Muskeln, Kreislaufstörungen oder abnehmendes Konzentrationsvermögen sein.
Wie sollte der Betriebsrat konkret vorgehen?
Entscheiden sich Arbeitgeber und Betriebsrat dazu, die Temperaturen in der Arbeitsstätte zu verringern, muss sichergestellt sein, dass die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Anpassungen berücksichtigt werden. Mittel der Wahl ist in diesem Fall die Gefährdungsbeurteilung.
Mit dieser kann der Betriebsrat nicht nur darüber mitbestimmen, wie und wo die Ermittlung möglicher Gefährdungen durchgeführt wird. Er kann auch Einfluss darauf nehmen, welche Arbeitsschutzmaßnahmen umgesetzt werden müssen, um mögliche Gesundheitsgefährdungen durch die Energiesparmaßnahmen vorzubeugen. Hier hat der Betriebsrat sogar ein Initiativrecht. Er kann also den Erlass betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutzregelungen zur Vermeidung problematischer Folgen betrieblicher Energiesparmaßnahmen auch gegen das Interesse des Arbeitgebers auf dem Rechtsweg durchsetzen.
Auf was sollte der Betriebsrat achten?
Bei der Vereinbarung von Maßnahmen ist die sogenannte Maßnahmenhierarchie des Arbeitsschutzes, das sogenannte „TOP-Prinzip“ zu beachten. Es ist also dafür Sorge zu tragen, das technische und organisatorische Maßnahmen stets Vorrang vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen bekommen. Das bedeutet, dass beispielsweise eine ergänzende Wärmeisolierung des Fußbodenbelags im Arbeitsbereich, bewegungsorientierte, kreislaufanregende Tätigkeitswechsel oder aber Vereinbarungen zu Aufwärmzeiten stets vor einer individuell angepassten Arbeitskleidung umzusetzen sind.
Und was ist im Homeoffice zu beachten?
Vielerorts gibt es Überlegungen, Bürogebäude für längere Zeiträume stillzulegen, um den betrieblichen Energieverbrauch zu senken. Doch auch im Homeoffice muss geheizt werden. Der Umzug ins Homeoffice spart dem Arbeitgeber also durchaus Energiekosten, gleichzeitig erhöht sich jedoch meist auch die finanzielle Belastung der Beschäftigten. Daher sollte geprüft werden, ob durch diese Maßnahme im Saldo überhaupt Energie eingespart werden kann. Sollte dies der Fall sein, gilt es frühzeitig Kompensationen für entstehende Mehrkosten zugunsten der Beschäftigten zu vereinbaren.