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Arbeitsrechtler im Interview: So helfen wir vor Gericht

Mobbing, Arbeitszeitverstöße, ausbleibende Entgeltzahlung: Wenn es am Arbeitsplatz Ärger gibt, kommt Rechtsschutzsekretär Till Bender ins Spiel. Im Interview verrät er, was er für Gewerkschaftsmitglieder erreichen kann – und warum sich niemand vor dem Arbeitsgericht fürchten sollte.

Till, kaum jemand steht gerne im Gerichtssaal. Warum sollten Beschäftigte diesen Schritt trotzdem wagen? 

Till Bender: Ich höre oft den Satz: „Mit dem Gericht hatte ich doch noch nie was zu tun!“ Manche Leute schämen sich regelrecht dafür. Aber fest steht: Wenn einem etwas zusteht und man kommt über den Betriebsrat nicht weiter, dann sollte man auch keine Angst vor dem Arbeitsgericht haben. Schließlich geht es darum, berechtigte Ansprüche durchzusetzen. Die meisten Richter schaffen im Gerichtssaal eine freundliche Atmosphäre, lassen die Beschäftigten zu Wort kommen. Im Nachhinein sind die Leute dann meist zufrieden.


Sind die Arbeitgeber vor Gericht im Vorteil?

Nein. Es kann sogar anders herum sein: Manchen Arbeitgebern eilt ein Ruf voraus. Wenn bei einem Unternehmen ständig Lohnzahlungen ausbleiben, dann denkt sich der Richter: „Nicht der schon wieder.“ Solche Arbeitgeber haben bei Gericht schlechte Karten.


Gibt es typische Arbeitgeber-Maschen?

Sagen wir so: Manche Arbeitgeber legen die Gesetze sehr kreativ aus. Die versuchen an die Grenze des Erlaubten zu gehen – oder darüber hinaus. Natürlich immer zum Nachteil der Beschäftigten. Eine andere gängige Praxis ist, dass der Arbeitgeber einfach Teile des Lohns einbehält, mit teils fadenscheinigen Begründungen. Die Beschäftigten sind dabei immer im Nachteil: Sie müssen dem Geld hinterherlaufen.


Sind das eure häufigsten Fälle?

Streit ums Entgelt macht rund die Hälfte aller Fälle aus: Da wird der Tariflohn nicht eingehalten oder gar kein Lohn gezahlt. Bei rund einem Drittel der Fälle geht es um Kündigungen. Auch um Arbeitszeugnisse und die Formulierungen darin wird regelmäßig gestritten.


Wie viele eurer Fälle gewinnt ihr?

Verfahren vor dem Arbeitsgericht werden oft durch Vergleich beendet und nicht durch ein Urteil. Das ist auch oft sinnvoll, weil die Kläger so schneller an ihr Geld kommen. Bei Kündigungsschutzklagen entscheidet das Gericht nur, ob eine Kündigung wirksam ist oder nicht, eine Abfindung bekommt der Arbeitnehmer nur in einem Vergleich. Auf diese Weise haben wir im Jahr 2016 in arbeitsgerichtlichen Verfahren allein für IG Metall-Mitglieder rund 90 Millionen Euro erstritten. Streitigkeiten um Tariflohn gewinnen wir meistens ― da gibt es schließlich einen rechtlichen Anspruch, schwarz auf weiß. Schwierig wird es oft bei unbezahlten Überstunden.


Warum?

Es reicht nicht, dass die Beschäftigten die geleisteten Überstunden aufschreiben. Das sollten sie trotzdem auf jeden Fall machen. Aber sie müssen auch nachweisen, dass der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet hat. Eigentlich müsste man sich das jedes Mal schriftlich quittieren lassen. Das ist aber realitätsfern.


Was könnt ihr da machen?

Manche Gerichte erleichtern uns die Beweislast. Dann reicht zum Beispiel der Nachweis, dass man über bestimmte Zeiten im Betrieb anwesend war. Aber auch das ist schwer, wenn es im Betrieb keine Arbeitszeitkonten gibt. Wir arbeiten deshalb oft auf einen Vergleich hin: Dann werden zumindest ein Drittel oder die Hälfte der geleisteten Überstunden nachträglich bezahlt.


In manchen Arbeitsverträgen steht: Überstunden sind mit dem vereinbarten Entgelt pauschal abgegolten.

Solche Klauseln sind bei normalen Beschäftigten rechtswidrig. Hier gibt es viele ähnliche Klauseln, die auch oft unwirksam sind. Gegebenenfalls sollte man das prüfen lassen.


Wie läuft ein Fall bei Dir ab?

Ich kriege eine Akte auf den Tisch – zum Beispiel von einer IG Metall-Geschäftsstelle, dort werden die Fälle als Erstes geprüft. Wenn nötig, spreche ich dann noch mit den Betroffenen. Dann reiche ich eine Klage beim Arbeitsgericht ein.


Und dann?

Zunächst gibt es einen Gütetermin, das ist im Arbeitsrecht zwingend vorgeschrieben. Bei dem Gütetermin wird geprüft, ob man sich nicht doch ohne Prozess einigen kann. Zu dem Termin muss die Klägerin oder der Kläger meist nicht selbst erscheinen. Auch der Arbeitgeber schickt meist nur seine Rechtsvertreter. Wenn eine Einigung nicht möglich ist, kommt es zum Kammertermin. Dort sitzen dann drei Richter: Der Vorsitzende und zwei Ehrenamtliche, einer von der Arbeitnehmer- und einer von der Arbeitgeberseite. Jeder hat eine Stimme.


Wie gehst Du vor Gericht vor?

Beispiel betriebsbedingte Kündigung: Bei Kündigungsklagen hat der Arbeitgeber die Beweislast. Ich bestreite also zunächst die Zulässigkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber muss dann begründen, warum die Kündigung rechtmäßig gewesen sein soll. Das ist eine hohe Hürde. Wir können die Begründung ja auch wieder angreifen. Dabei helfen uns oft die guten Kontakte zu den Betriebsräten, um an Informationen zu kommen.


Welcher Fall ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?

Ein besonders dreister: Ein Metall- und Elektrobetrieb hatte Auszubildende eingestellt, aber nicht direkt im Unternehmen, sondern in einem angeblich wohltätigen Ausbildungsverein. Die Azubis haben ganz normal im Betrieb gearbeitet, aber nur die Hälfte des Tariflohnes erhalten. Der Fall ging bis zum Bundesarbeitsgericht. Der Arbeitgeber hat verloren. Er musste die Lohndifferenz für die komplette Ausbildungszeit nachzahlen, plus Zinsen.

Zur Person: Till Bender (38 Jahre) arbeitet seit 2012 bei der DGB Rechtsschutz GmbH. Der Arbeitsrechtler vertritt Gewerkschaftsmitglieder vor Gericht.